Ganz für Gott und ganz für die Menschen - ein Leben zwischen vielen Spannungspolen
Menschen, die in ihrem späteren Leben entscheidende Werke vollbrachten, waren sich nicht immer von vornherein ihrer Sendung bewusst. Es bedurfte oft erst der Begegnung mit anderen Menschen, der Konfrontation mit neuen geistigen Strömungen oder persönlicher Schicksalsschläge, bis sie die Zielrichtung ihres Lebens erkannten.
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Auch Hildegard Burjan, die Gründerin der CARITAS SOCIALIS, hatte vorerst eine issenschaftliche Laufbahn vor Augen, bevor ihr über Umwege bewusst wurde, was Gott mit ihr vorhatte, was die Aufgabe ihres Lebens sein sollte. |
Hildegard entwickelte sich zu einer nach hohen Idealen strebenden Persönlichkeit. Sie war, wie viele junge Menschen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, auf der Suche nach Zielen, nach Idealen, nach etwas Großem. 1903 maturierte sie in Basel und begann mit dem Studium der Germanistik an der Universität Zürich. Sie besuchte zusätzlich auch philosophische Vorlesungen, denn sie hatte viele Fragen – nach dem Sinn des Lebens, nach Wahrheit ... – und suchte nach Antworten. Über den Philosophen Robert Saitschik und den Friedensforscher Friedrich Foerster wurde sie erstmals mit christlichem Gedankengut konfrontiert.
![]() Ehepaar Burjan © CS |
In Hildegard begann die Erkenntnis zu reifen, dass das unbedingte Anstreben des vollkommenen Menschseins immer unvollkommen bleiben wird, wenn nicht Gott das Ziel allen Tun und Handelns ist. Sie spürte, dass sie eine Entscheidung für ihr weiteres Leben treffen musste, aber noch hatte sie innere Hindernisse zu überwinden. Die Gnade des Glaubenkönnens wurde ihr noch nicht zuteil. |
Während der Studienzeit lernte sie den Technikstudenten Alexander Burjan kennen. Er war Ungar und ebenfalls jüdischer Abstammung. Am 2. Mai 1907 heiratete das Paar und übersiedelte nach Berlin. Hildegard stand knapp vor Abschluss ihrer Studien.
Am 9. Oktober 1908 wurde die junge Frau mit einer Nierenkolik in das katholische St. Hedwigs-Spital in Berlin eingeliefert. Ihr Zustand verschlechterte sich zusehends, sie musste mehrere Eingriffe über sich ergehen lassen. In der Karwoche des Jahres 1909 war sie dem Tode nahe. Die Ärzte hatten keine Hoffnung mehr auf eine Genesung und
gaben ihr Morphium, um ihr die Schmerzen zu erleichtern. Am Ostermorgen geschah aber das Unfassbare – der Zustand der Schwerkranken besserte sich zusehends, die offene Wunde begann zuzuheilen. Nach sieben Monaten Krankenhausaufenthalt wurde sie nach Hause entlassen. An den Folgen dieser schweren Erkrankung litt sie aber ihr ganzes Leben.
Dieses Erlebnis veränderte ihr Leben total. Hildegard war zutiefst erschüttert und aufgewühlt, wie Gott sie geführt hatte. Sie verspürte nun die Kraft in sich, glauben zu können. Auch das vorgelebte christliche Beispiel der sie pflegenden Ordensschwestern – es waren Borromäerinnen – hatte daran seinen Anteil. Was ihr nicht mit dem Verstand, dem Intellekt gelungen war, konnte sie nun, mit dem Herzen erfassen. Am 11. August 1909 empfing sie das Sakrament der Taufe.
Hildegard begann nun, in sich hineinzuhorchen. Was wollte Gott von ihr? Sie selbst wusste nur, dass ihr wiedergeschenktes Leben ganz Gott und den Menschen gehören müsse. Noch im selben Jahr übersiedelte das Ehepaar Burjan nach Wien, wo Alexander eine leitende Position angeboten bekommen hatte.
Hildegard fand bald Anschluss an katholische Kreise in Wien, vor allem an Gruppierungen, die sich mit den Aussagen der ersten Sozialenzyklika "Rerum Novarum" (1891) Papst Leos XIII. auseinander setzten.
In ihrem sozialen Engagement musste sich Hildegard vorerst noch zurückhalten, denn sie erwartete ein Kind. Für ihre angegriffene Gesundheit bedeutete dies Lebensgefahr. Die Ärzte rieten zu einer Abtreibung aufgrund der gegebenen medizinischen Indikation. Sie wehrte entschieden ab. Am 27. August 1910 kam Tochter Lisa zur Welt. Die Geburt brachte die Mutter wieder dem Tode nahe und ein längerer Spitalsaufenthalt war notwendig.
![]() Tochter Elisabeth © CS |
In den folgenden Jahren begann Hildegard Burjan aber konsequent, ihr »soziales Konzept« zu entwickeln und ihr Lebensziel, die Gründung einer religiösen Schwesterngemeinschaft zu verfolgen. Ihre vielseitigen und zeitaufwändigen karitativen und später politischen Tätigkeiten brachten sie, wie jede andere noch außerhalb der Familie engagierte Frau und Mutter, auch in Konfliktsituationen – nämlich beiden, dem öffentlichen Aufgabenbereich und der Familie, gerecht zu werden. Nur ihr großes Organisationstalent half ihr, dies zu meistern. Die Burjans führten ein großes Haus. Alexander erreichte die Position eines Generaldirektors in der österreichischen Telefonfabriks-Aktiengesellschaft und war Mitbegründer der RAVAG. Hildegards Name wurde durch ihre vielseitige Tätigkeit in der Öffentlichkeit bald ein Begriff. Die Spitzen der Wirtschaft und Politik waren oft im Hause Burjan zu Gast. Für Hildegard bedeutete dies ein Leben in zwei sich diametral gegenüberstehenden Welten: Frau eines Generaldirektors und zugleich Anwältin der Unterdrückten und Entrechteten zu sein. Die immensen Anforderungen zehrten an ihren Kräften. Zu ihrem chronischen Leiden kam noch ein Diabetes. Auch die Auswirkungen eines Bluthochdruckes machten ihr zu schaffen. |
In der kurzen Spanne Zeit, die ihr für die Verwirklichung ihrer Ideen gegeben war, initiierte sie, ihrer Zeit im sozialen Denken weit voraus, Projekte, die den weiten Bereich der Fürsorge entscheidend veränderten.
Ausgangspunkt und Motivation für Hildegard Burjans Tun und Handeln war ihre tiefe Gottverbundenheit. Sie war überzeugt davon, dass es ihr Auftrag war, die Liebe Gottes durch die soziale Tat zu verkünden. Hörend auf seinen Willen und hörend auf die Nöte der Menschen, versuchte sie diesem Auftrag gerecht zu werden.
Bereits vom Tod gezeichnet, begann sie zum Andenken an ihren verstorbenen geistigen Freund und Wegbegleiter, Prälat Dr. Ignaz Seipel, den Bau einer Kirche in Wien in die Wege zu leiten.
Auf dem heutigen Gebiet des Bezirkes Neu-Fünfhaus sollte neben der Kirche auch – für die damalige Zeit ein neuer Gedanke – ein Sozialzentrum entstehen. Die Grundsteinlegung erlebte sie nicht mehr. Am 11. Juni 1933 starb Hildegard Burjan – nur fünfzig Jahre alt.
Auf ihrem Grabstein auf dem Wiener Zentralfriedhof steht die von ihr gewünschte Inschrift: IN TE, DOMINE, SPERAVI, NON CONFUNDAR IN AETERNUM – Auf Dich, o Herr, habe ich meine Hoffnung gesetzt. In Ewigkeit werde ich nicht zuschanden.
Am 6. Juni 1963 wurde das Seligsprechungsverfahren für die Gründerin der Schwesterngemeinschaft CARITAS SOCIALIS, Hildegard Burjan, eingeleitet.
Grabstein in der Hildegard Burjan-Kapelle © CS
Nach Abschluss des Wunderprozesses und ihrer Exhumierung ruhen ihre Gebeine seit 4. Mai 2005 in der Hildegard Burjan Kapelle in der Zentrale der Schwesterngemeinschaft CARITAS SOCIALIS, Pramergasse 9, 1090 Wien.
Am 29. Jänner 2012 wird Hildegard Burjan im Wiener Stephansdom selig gesprochen.